Aus Bewegung wird Geschichte? Der Konflikt um die Startbahn West
Als mit aufkommendem Umweltbewusstsein einzelne Bürger zu Beginn der 1960er Jahre gegen den geplanten Ausbau des Frankfurter Flughafens initiativ wurden, war nicht absehbar, dass sich ein Konfliktpotential entwickeln würde, das zehntausende Bürger mobilisieren und die politische Agenda der Rhein-Main-Region über Jahrzehnte bestimmen sollte. Zu Beginn der achtziger Jahre spitzte sich der Konflikt zu: die Räumung des Hüttendorfes am 2. November 1981, der gescheiterte Versuch einer Wiederbesetzung, der sogenannte „Nacktensamstag“ am 7. November 1981, das gescheiterte Volksbegehren im November 1981 und 300 Sonntagsspaziergänge an die Startbahnmauer sind fester Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses.
Die gewaltförmigsten Auseinandersetzungen, die die Bundesrepublik Deutschland Zeit ihres Bestehens erlebt hat, prägten die Debatten um legitime Protestformen in der Bundesrepublik Deutschland auch noch, als die Startbahn West 1984 längst eröffnet worden war. Sie mündeten in neuartige Strategien zur Konfliktbewältigung, die seit Ende der 1990er Jahre in der Befriedung der Proteste gegen den weiteren Flughafenausbau zum Einsatz kamen. Trotz früherer Versprechungen geht der Flughafenausbau bis heute weiter und immer noch kämpfen Bürgerinitiativen gegen die Folgen.
Die Bedeutung der Erinnerung an den Konflikt um die Startbahn-West für das politische Selbstverständnis der Rhein-Main-Region ist ein Gegenstand der „hot history“: in der Gegenwart nicht abgeschlossener, mit Emotionen besetzter Geschichte. Studierende des Historischen Seminars der JGU Mainz gingen über ein Jahr den Protesterfahrungen der Bürger in Anrainergemeinden nach, sammelten Stimmen der Zeitzeugen, und führten im Frühsommer 2016 zusammen mit dem Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim eine Veranstaltungsreihe durch, zu der eine Podiumsdiskussion, eine Lesung literarischer Quellen und ein Sonntagsspaziergang mit interaktiver Ausstellung gehörten.
(Freia Anders)
Im Rahmen dieses Blogs soll den Besucherinnen und Besuchern Einblick gewährt werden in den Ablauf und die Ergebnisse des Lehrprojektes „Ist die Startbahn West schon Geschichte?“. Durch die Darstellung und historische Einbettung der einzelnen Aspekte des Projektes erhofft sich das Projektteam, einen kleinen Beitrag zur "hot history" zu leisten und würde sich freuen, mehr Menschen für diese Thematik zu interessieren.
Literatur
Anders, Freia: Die „Gewaltfrage“ an der Startbahn West, In: Bulst, Neithard / Gilcher-Holtey, Ingrid / Haupt, Heinz-Gerhard (Hrsg.): Gewalt im Raum des Politischen, Frankfurt a.M. 2008 (Historische Politikforschung, Bd. 15), S. 260-288.
Engelke, Rolf: „Gekämpft wird diesmal anders!“ Die Bürgerinitiativbewegung gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens zwischen Bürgerprotest und Widerstand, In: Engelke, Rolf / Klein, Thomas / Wilk, Michael (Hrsg.): Soziale Bewegungen im globalisierten Kapitalismus. Bedingungen für emanzipative Politik zwischen Konfrontation und Anpassung, Grafenau 2005, S. 57-82.
Johnsen, Hartmut: Der Startbahn-West Konflikt. Zeitzeugen ziehen Zwischenbilanz. Ein politisches Lehrstück?, Frankfurt a.M. 1996.
Keber, Walter /Treber, Dirk / Frühwacht-Treber, Wilma (Hrsg.): 50 Jahre Protest gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens, Bd. 1, Frankfurt a.M. 2015.