Das Hüttendorf

Station 2

 

Das Leben im Hüttendorf

Im Dezember 1978 verkaufte das Land Hessen 303 Hektar Land an die Flughafen AG für die Erweiterung des Frankfurter Flughafens. Aus Protest gegen die Rodung des Waldes entstand ab Mai 1980 das sogenannte Hüttendorf auf dem verkauften Gelände. Am 3. Mai 1980 wurde über Nacht die "Informationshütte" der Bürgerinitiative Mörfelden-Walldorf als erstes Gebäude errichtet. In der Folgezeit entstanden weitere Hütten. Die "Bewohner" kamen, besonders an Wochenenden, aus der gesamten Bundesrepublik und gehörten verschiedenen politischen Richtungen und Organisationen an. Für die Hütten gab es keine baurechtlichen Genehmigungen. Am 2. November 1981 wurde das Hüttendorf gewaltsam geräumt.

Lebhaft und eindrucksvoll beschreibt Horst Karasek das Leben im Hüttendorf in seinem Buch "Das Dorf im Flörsheimer Wald" von 1981:

„Über dem Runddach der BI-Hütte thronen zwei Waldhexen und schaukeln im naßkalten [sic] Wind. Dunkelheit und Wärme umhüllen mich, als ich eintrete. Ein paar kleine Fenster spenden nur spärlich Licht, für Hitze sorgt ein mächtiger Eisenofen in der Mitte des Raumes. Daneben eine Pumpe, mit deren Schwengel man das Wasser sechseinhalb Meter tief aus dem Waldboden holt. Heißer Kaffee, Tee oder Glühwein werden rechterhand von dem Eingang ausgeschenkt, Brot schneidet man sich an dem Tisch davor. An den Wänden liegen Matratzen.“[1]

Die Station des Hüttendorfes war ein Teil der Veranstaltung „Sonntagsspaziergang reloaded“. Da wir uns im Vorfeld intensiv mit dem Hüttendorf an sich und den dortigen Ereignissen beschäftigt hatten, wollten wir mit den Zeitzeugen Momente und Erinnerungen aus dem Dorf wieder aufleben lassen. Wichtig erschien uns dabei, dass einerseits der unermüdliche Eifer der Bewohner deutlich wurde, andererseits aber auch eine Diskussion entstand, die die vielen Facetten der Beweggründe der Bewohner verdeutlichen. Wir wollten mit den Aktivisten, für die der Protest gegen den Flughafenausbau noch keineswegs ein Ende erreicht hat, ins Gespräch kommen, um einen besseren Einblick in ihre Sichtweise zu bekommen, jedoch auch, um zu signalisieren, dass dieses Thema in der Forschung Beachtung finden sollte.

 

Lageplan des Hüttendorfes Juni 1981

 

Vortrag zum Hüttendorf (© Walter Keber)

Im Wald hängten wir ein Plakat auf, auf dem ein Plan des Hüttendorfes zu sehen ist. Um diesen Plan herum haben wir Bilder ausgewählter Hütten (BI, Kuckucksnest, Funkturm, Schreiberei) näher beschrieben, um an das Leben, die Kultur und die Gemeinschaft im Dorf zu erinnern. Der Student Robert Steiner referierte über die Erbauung der ersten Hütte am 3. Mai 1980 und über das Leben im Hüttendorf. Weiter wurden Probleme des Zusammenlebens thematisiert: Misstrauen und Unfrieden entstand, als einige Hütten einem Feuer zum Opfer fielen, weil viel geklaut und der Müll nicht von allen weggeräumt wurde. Zu einem größeren Konflikt kam es, als ei Teil der Bewohner mittels eines Stromaggregats elektrisches Licht erzeugte, denn nicht alle Dorfbewohner wollten technische Hilfsmittel im Dorf haben. Konfliktpotenzial entstand auch aus der sozialen Vielfalt der Gruppen: „Dorfakademiker“, „breite Mittelschicht“, „Unterschicht“, die unterschiedliche Vorstellungen des Zusammenlebens vertraten.

 

Nach dem Vortrag entstand eine lebhafte Diskussion mit und unter den Teilnehmern. Diese hatten Originalunterlagen aus der Zeit des Hüttendorfes mitgebracht, zum Beispiel eine Liste mit den Namen derer, die zum Wachdienst eingeteilt waren. Darüber hinaus zogen sie einen Vergleich zu den Aktionen im Hambacher Forst (2012 wurden Gebiete des Waldes besetzt, um für Kohleausstieg zu protestieren). Viele von ihnen erschienen, wie in den 80er Jahren, mit Rädern, die teilweise mit Fahnen und Aufklebern geschmückt waren. Der Journalist Uwe Grünheid griff die Aussage des Aktivisten Michael Wilk auf, der berichtete, dass „das facettenreiche Leben im Hüttendorf, [...] eine enorme Sogwirkung gehabt habe und zu einem Schmelztiegel unterschiedlichster Gruppierungen geworden sei.“[2]

Viele regionale Zeitungen, sowohl online als auch in Papierform, berichteten im Vorfeld als auch nach der Veranstaltung über den „Sonntagsspaziergang reloaded“. Dieser fand, so betonten sie immer wieder, knapp 35 Jahre nach der Räumung des Hüttendorfes im Flörsheimer Wald am 2. November 1981 statt. Die positive Kritik überwog in den Online Formaten. So erschien auf der Seite www.flughafen-bi.de am 5. Juni 2016 ein kurzer Bericht mit vielen Fotos des Fotografen Walter Keber, der die Veranstaltung als „informative Exkursion über drei Stunden“ beschrieb.[3] Ein längerer Bericht wurde von Uwe Grünheid, der selbst dem Spaziergang folgte, auf der Seite der Frankfurter Neuen Presse veröffentlicht. Dort heißt es zunächst: „der zeithistorische Spaziergang begann mit einem kleinen Eklat“, als ein als Zeitzeuge geladener Polizist für private Zwecke Bilder der Gruppe machen wollte. Deutlich wurde dadurch noch einmal mehr, wie aktuell und ernst die Angelegenheit für die involvierten Personen ist. Weiter berichtet er, dass es am Hüttendorf lebhafter zuging, wogegen sich die Gemüter bei zeitgenössischer Protestmusik wieder beruhigten.

(Isabell Rahms)

 

Literatur

 

Cremer, Ulrich: Bauen als Urerfahrung. Dargestellt am Beispiel des Hüttendorfes gegen die Startbahn West, München 1982.

Karasek, Horst: Das Dorf im Flörsheimer Wald. Eine Chronik vom alltäglichen Widerstand gegen die Startbahn West. Darmstadt 1982.

Wittich, Ute: Hüttendorf. Spontane Architektur im Flörsheimer Wald. Frankfurt 1982.

 

Fußnoten

 

[1] Karasek, Horst: Das Dorf im Flörsheimer Wald. Eine Chronik vom alltäglichen Widerstand gegen die Startbahn West. Darmstadt, 1981, S. 9f.

[2] Vgl. Grünheid, Uwe: In: Frankfurt Neue Presse online am, 08.Juni 2016. URL: http://www.fnp.de/lokales/kreise_of_gross-gerau/Erinnerungen-an-den-Widerstand;art688,2046591 (Aufruf: 20.04.2017).

[3] Vgl. Keber, Walter: Sonntagsspaziergang reloaded, 05. Juni 2016  URL: http://www.flughafen-bi.de/Archiv/2016/2016_06_05%20sonntagsspaziergang%20reloaded.html (Aufruf: 20.04.2017).

 

Bildnachweise

 

(1) "Lageplan des Hüttendorfes Juni 1981", abgedruckt in: Cremer, Ulrich: Bauen als Urerfahrung. Dargestellt am Beispiel des Hüttendorfes gegen die Startbahn West, München 1982, S. 41.

Slideshow

(1) "Das Flörsheimer Hüttendorf" Keber, Walter/Treber, Dirk/Frühwacht-Treber, Wilma (Hrsg.): 50 Jahre Protest gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens, Bd.1., Frankfurt a.M. 2015, S. 30.

(2) "Hütten unterschiedlichster Bauart", ebd., S. 30.

(3) "Idyll im Hüttendorf 1981", ebd., S. 31.

(4) "Alt und Jung gemeinsam im Hüttendorf", ebd., S. 32.